Tschüss Hybridsaatgut - hallo Saatgutvielfalt!

Tschüss Hybridsaatgut - hallo Saatgutvielfalt!

Unser Beitrag zeigt Dir, welche Nachteile Hybridsaatgut-Käufe haben. Du erfährst, dass es gar nicht schwer ist, Saatgut stattdessen einfach selbst zu gewinnen, weshalb Du damit gegen die Folgen der Klimakrise angärtnerst und sogar ein:e Retter:in der Saatgutvielfalt wirst.

Saatgut im Handel
Bei Gemüse-Saatgut im Bau- oder Supermarkt handelt es sich sehr oft um Hybridsaat (F1). F1-Saat hat eine Art Kopierschutz, weshalb Du Deine F1-Lieblingssorten jedes Jahr neu kaufen musst. Greife zu samenfestem Saatgut, das Du zuverlässig vermehren kannst.

Augen auf beim Saatgutkauf

Im Handel sind samenfeste Saaten und Hybridsaaten erhältlich. Hybridsaatgut, auch F1 genannt, ist nur bedingt zur Weitervermehrung geeignet. Es ist so gezüchtet, dass nicht vorhersagbar ist, ob und wie sich die Pflanzen entwickeln, die aus Saatgut der F1-Pflanzen gezogen werden. Daher spricht man bei Hybridsaaten auch von “Einmalsaatgut”. Die Saatgutunternehmen macht dieser Umstand reich, die Landwirte macht er von den Saatgutkonzernen abhängig: Das F1-Saatgut muss Jahr für Jahr neu gekauft werden, wenn eine zuverlässige Ernte gewünscht ist.

Samenfestes Saatgut ist freies Saatgut, mit dem Du Deine Lieblingssorten immer wieder selbst vermehren und mit jedem Jahr weiterentwickeln kannst. Wenn Du samenfestes Saatgut kaufst oder selbst vermehrst, unterstützt Du den Erhalt der Saatgutvielfalt.

Auf den Saatguttütchen ist nicht immer angegeben, ob es sich um samenfestes Saatgut handelt. Du kannst aber einfach nach dem Ausschlussprinzip vorgehen: Hybridsaaten sind mit der Bezeichnung F1 gekennzeichnet. Findest Du diesen Aufdruck nicht, handelt es sich um samenfestes Saatgut. Achtung: Viele Saatguthersteller verstecken den F1-Hinweis irgendwo im Kleingedruckten. Das Bio-Siegel gibt keine Auskunft darüber, ob es sich um Hybridsaatgut oder samenfestes Saatgut handelt.

Warum ist der Erhalt der Saatgutvielfalt für uns und unsere Mitlebewesen enorm wichtig?

Die Grundlage unserer Ernährung sind Pflanzen. Die Ernährungsgrundlage vieler Tiere sind Nektar, Pollen, Saaten oder das Grün von Pflanzen. Unsere vielen "Ohne sie geht nichts mehr"-Pflanzen sind verschiedensten Bedrohungen ausgesetzt: ein massiver Schadinsektenbefall, Krankheitserreger, Dauerniederschläge, Dürreperioden und weitere durch den Klimawandel veränderte Kulturbedingungen können schnell ihr Ende bedeuten. Welche Eigenschaften müssen Pflanzen jetzt und in Zukunft mitbringen, um gegen all diese Unwägbarkeiten gewappnet zu sein und uns und unsere Mitlebewesen zuverlässig zu ernähren?

Statt den Versuch zu starten, DIE NEUE unsterbliche Supersorte zu züchten, haben wir die Lösung bereits in der Hand: die Saatgutvielfalt! Tausende Gemüsesorten bedeuten tausende mögliche Kombinationen an ganz verschiedenen Eigenschaften und Fähigkeiten. Züchterisch kann aus diesem breiten Genpool geschöpft werden, um Sorten zu finden und weiterzuentwickeln, die robust, gesund, üppig und standortangepasst wachsen. Wir müssen die Vielfalt der Sorten erhalten, die uns bereits zur Verfügung stehen und die genetische Breite innerhalb dieser Sorten bewahren und erweitern!

(Warum) kümmern sich die kommerziellen Saatgutfirmen nicht um den Erhalt der Saatgutvielfalt?

Kurz gesagt: Saatgutkonzerne möchten nicht die Welt retten. Ihr Anliegen ist es, viel Geld zu verdienen. Dass das funktioniert und die Konzerne heute Milliarden mit Saatgut verdienen, ist erstaunlich und brisant zugleich. Daher lohnt ein Blick auf die Geschichte der Saatgutindustrie:

  • Vor 150 Jahren war Saatgut noch Gemeingut. Es wurde weltweit von Landwirt:innen selbst vermehrt, verwendet, weiterentwickelt und untereinander getauscht.
  • Um immer mehr Menschen ernähren zu können, wurde die Landwirtschaft des Globalen Nordens im letzten Jahrhundert Stück für Stück industrialisiert. Die Flächennutzung wird seither auf Kosten der Artenvielfalt immer weiter optimiert. Es kommen immer leistungsstärkere, größere Maschinen zum Einsatz. Es werden immer mehr Pestizide und Chemiedünger genutzt, um größere Ernten auf den riesigen Monokulturplantagen einzufahren. Und: Seit den 1920ern wird Saatgut gezüchtet, das für all diese Entwicklungen optimiert ist. Viele der neuen F1-Zuchtsorten sind dank entsprechender Resistenzzüchtung die einzigen Pflanzen, die den massiven Einsatz von Unkrautvernichtungsmitteln auf den Feldern überleben. Die Ernte der neuen Turbo-Hybridsorten zeigt eine große Gleichmäßigkeit in Größe und Form. Alles ist zum selben Zeitpunkt reif. Dadurch kann die gesamte Ernte mit einem Mal eingefahren und mit minimalem Platzverbrauch transportiert und gelagert werden.
  • Heute dominieren drei Großkonzerne mehr als 60 Prozent des weltweiten Saatgutmarktes: Bayer-Monsanto, ChemChina-Syngenta und Corteva Agrisciene. Alle drei Unternehmen sind Agrochemiekonzerne, die neben Saatgut auch Unkrautvernichtungsmittel, Insektizide und chemische Düngemittel verkaufen.

Die Nachteile der Kommerzialisierung von Saatgut und der Entwicklung von F1-Sorten

  • Die Abhängigkeit der Landwirte von den Saatgutkonzernen

Die Saatgutkonzerne lassen sich von den Landwirten vertraglich zusichern, dass sie das erworbene Saatgut nicht lagern, weitergeben oder weiterverwenden. Auch auf politischer Ebene gibt es verschiedene Reglementierungsinstrumente, die dem Sorteneigentümer garantieren, dass das Saatgut nur in seinem Sinne verwendet wird. Dafür sorgt zum einen der so genannte "Sortenschutz". Auf internationaler Ebene beschränkt der UPOV, der Internationale Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen, die Produktion und den Tausch von Saatgut. Die USA, Japan, die EU und andere Staaten setzen immer mehr Länder des Globalen Südens unter Druck, dem UPOV beizutreten und diese Reglementierungen ebenfalls umzusetzen. Das hat fatale Folgen: Im Globalen Süden ernähren Millionen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern die Bevölkerung. Basis ihrer Feldwirtschaft sind selbst vermehrte, regional angepasste Sorten. Der UPOV schreibt die Verwendung zertifizierten Saatguts vor, das genetisch einheitlich und stabil ist. Diese Kriterien erfüllen nur F1-Saaten. Die Saatgutkonzerne freut's! Sie können sich die langwierigen und kostspieligen Zulassungsverfahren leisten. Unzählige Tonnen nicht zertifiziertes Saatgut wurden im Globalen Süden bereits vernichtet und die Kleinbäuer:innen in Abhängigkeit der Saatgutmonopolisten gebracht. Hier, in Mitteleuropa, fand dieser Prozess bereits in den 1970ern statt. Die industrielle Landwirtschaft mit ihren Monokulturen und massiven Pestizideinsätzen ist allgegenwärtig. Die Vielfalt an Sorten, die einst auf unseren Feldern wachsen durfte, ist längst in Vergessenheit geraten.

  • Die Umwelt wird massiv belasten und die Böden ausgelaugt

Da die drei Saatgutmonopolisten auch Pestizide und Dünger verkaufen, ist es kein Zufall, dass viele der F1-Handelssorten nur in Kombination mit diesen Produkten ihre Ernteversprechen halten.

  • Die Biodiversität und unsere Ernährungssouveränität sind bedroht

Ob Supermarkt oder Bioladen, in der Gemüseabteilung sieht es ganz ähnlich aus: Es gibt DIE Gurke oder es gibt DEN Mais. Tatsächlich gibt gab es von beiden – und allen anderen – Gemüsearten viele hunderte oder sogar tausende Sorten mit verschiedenen geschmacklichen, optischen und auch anbauspezifischen Eigenschaften. Laut der Welternährungsorganisation FAO sind in den letzten 100 Jahren weltweit 75 Prozent der Vielfalt an pflanzlichen Nahrungsmitteln verloren gegangen. In den Industriestaaten wird der Verlust sogar mit 90 Prozent beziffert. Die Sortenvielfalt schwindet jedes Jahr um weitere ein bis zwei Prozent.

Die Züchtung von Hybridsorten dauert viele Jahre. Daher gibt es nur ein begrenztes Sortenangebot. Da in der konventionellen Landwirtschaft fast ausschließlich Hybridsorten angebaut werden, ist die einstige Sortenvielfalt verloren gegangen. Mit ihr übrigens auch Geschmacks-, Farben- und Formenvielfalt, denn diese Kriterien sind aus kommerzieller Perspektive nachrangig. Bei F1-Saat wird auf eine kurze Anbauzeit, Gesundheit, hohe Erträge, eine lange Lagerfähigkeit und Einheitlichkeit in Optik, Gewicht und Erntezeitpunkt gezüchtet.

Genetische Einheitlichkeit ist für staatliche Kontrollinstanzen ein Qualitätsmerkmal von F1-Sorten. Wenn es darum geht, unsere Ernährungssouveränität zu wahren und für die massiv veränderten Umweltbedingungen gewappnet zu sein, die die Klimakrise zunehmend mit sich bringt, sind genetische Breite und Sortenvielfalt die wertvollsten Saatgut-Eigenschaften. Nur samenfestes Saatgut ist vielfältig und anpassungsfähig. Es ist erste Wahl für klimaresilientes Gärtnern!

Wusstest Du schon, dass nicht nur Kulturpflanzen vom Vielfaltsverlust betroffen sind? Durch den massiven Einsatz von Pestiziden, Überdüngung, Versiegelung, durch Klimakrise-bedingten Umweltstress und durch die Verdrängung durch invasive Neophyten ist auch unsere Wildpflanzenvielfalt bedroht. Viele Bestäuberinsekten sind von Wildpflanzen abhängig. Sterben diese Arten aus, fehlt ihre Bestäuberleistung im Kulturpflanzenbereich.

  • Für die (klein)gärtnerische Nutzung sind Hybridsorten oft ungeeignet

Die F1-Saatguttütchen für den Hobbyanbau sind in der Regel Kleinstabfüllungen des industriellen Hybridsaatguts. Monokultur-geeignete Sorten, die in Kombination mit Pestiziden und Mineraldünger zur Bestform auflaufen und Gleichförmigkeit sowie ein extrem kurzes Erntezeitfenster bieten, sind für den professionellen Anbau rentabel.

  • Bei Privatgärtner:innen, die auf Chemie im Beet verzichten möchten, zeigen sich die F1-Sorten oft anfällig für Krankheiten und Schadinsektenbefall.
  • Eine herzförmige Tomate oder eine lustig gekringelte Gurke? Mit Hybridsaaten darf sich die Natur nicht kreativ zeigen. Alle Früchte sind in Größe und Form gleich. Dem Landwirt garantiert die normgerechte Ernte die Gesamtabnahme.
  • Während ein enges Erntezeitfenster in der Landwirtschaft die maschinelle Komplett-Ernte ermöglicht, geraten wir Privatgärtner:innen unter Druck, denn wir müssen alles auf einmal essen oder verarbeiten.

Viele samenfeste Sorten machen eine Ernte über viele Wochen hinweg möglich. Sie zeigen sich robust gegenüber Krankheiten und Umweltstress und zeigen dank ihrer genetischen Breite auch mal unerwartete Formen, Farben und Geschmacksnuancen mit Wow-Effekt.

Saatgutbanken: Sind sie die Arche Noah der Pflanzenvielfalt?

Weltweit gibt es mehr als eintausend verschiedene Saatgutbanken. Die größte Genbank befindet sich im norwegischen Spitzbergen. In einem Betontresor im Permafrost werden dort bis zu 4,5 Millionen verschiedene samenfeste Saatgutsorten keimfähig gelagert. Der Nachteil: Derart konserviert hat das Saatgut keine Chance, sich an die aktuellen Umweltbedingungen anzupassen. Ein weiterer Minuspunkt: Genauso wichtig wie der Erhalt der Saatgutvielfalt, ist die Bewahrung des Wissens rund um die Saatgutvermehrung. Schon heute gibt es vor allem in den Industriestaaten nur noch wenige Menschen, die sich mit der Kulturtechnik der Saatgutgewinnung und der Sortenweiterentwicklung gut auskennen.

Werde selbst Retter:in der Saatgutvielfalt!

Die eigenen Lieblingspflanzen ihren kompletten Lebenszyklus hindurch zu begleiten, ist faszinierend. Mit unserem Booklet "Werde Vielfaltsgärtner:in" lernst Du Schritt für Schritt, wie Du bei der Saatguternte und -aufbereitung vorgehst:

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